Samstag, 1. April 2006

Mehr Luft im Kopf als im Ball - Spielgerät ist neidisch auf Chemnitz Ho(o/h)ls.

Eigentlich dachte ich, dass an dieser Stelle ein normaler Ego-Fußballbericht zum Spiel St. Pauli gegen Chemnitz stehen wird. Meine aufgestaute Wut nach den Ereignissen neben dem Spielgeschehen, der ich heute schon an anderer Stelle versucht habe Luft zu machen, lässt den Text aber noch in ganz andere Bahnen gehen.

Am Samstag Morgen schien es noch ein gemütlicher Stadiongang wie jeder andere zu werden. Nichtmal verkatert war ich, weil ich mir gestern das Turbostaatkonzert verkniffen hatte bzw. ich war einfach zu faul hinzufahren.
Meinem Schwesterchen hatte ich zum Geburtstag das Versprechen geschenkt, dass ich sie beim Chemitz-Spiel mit ins Gepäck nehme. Bei einer kleinen Sightseeing-Tour übern Kiez machte ich sie gleich mit den wichtigsten Orten für Fußballspielbesuche bekannt. Fanladen, Jolly Roger, Stadion.
Letzters sollte dann frühzeitig geentert werden, denn Channi musste dringend auf Toilette *g*. Mit leerer Blase und vollen Bechern (nicht vom Klo sondern vom Getränkestand) in die seit Dienstag schon sehnsüchtig vermisste Nordkurve. Die hat seit dem auch ihren Wasserstand verändert. Land unter! Und ich hab mein Schlauchboot vergessen, verdammt!
Inzwischen zusätzlich noch mit Fischbrötchen versorgt gucken wir uns das obligatorische Aufwärmtraining der Jungs an. Dabei hoffe ich mal, dass Wojci heute erstens noch eingewechselt wird und zweitens endlich mal wieder ein Tor schießt.
Wie gewohnt ertönt nach der Bekanntgabe der Aufstellung unserer Helden die Stadionhymne und die Singing-Area zeigt den Chemnitzern schon mal im Vorraus, wie vernünftiger Support aussieht.Nämlich bunt und intelligent.
Auf der Gegenseite tauchen jetzt das erste Mal die rot-weißen Fetzen auf, bei denen lediglich das Idiotenkreuz weggelassen wurde. Eine glitschig aalige Masche, sich dem Verbot von verfassungsfeindlichen Symbolen zu entziehen, kennt man ja schon vom römischen Gruß mit drei Fingern statt der ausgestreckten Hand.
Die ersten "Nazis raus" Rufe von der Haupttribühne gehen leider fast komplett in der Chemnitzer Hymne unter, wogegen viele im Stadion noch gar nicht ganz verstanden haben, was bei den Gästen los ist.

Die Höllenglocken beginnen zu läuten und die Mannschaften laufen ein, der Anpfiff ist also nur noch wenige Sekunden entfernt. Und dann geht es auch endlich los.
Dafür, dass gegen den Tabellenletzten gespielt wird, sind die Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, von Anfang an viel zu groß. So wird das ganz sicher nichts. Zwar nicht verdíent aber auch nicht überraschend steht es in der 15. Minute 0:1. Shit! Der Rückstand scheint in der Mannschaft aber immer noch niemanden wachgerüttelt zu haben, denn bis zur Halbzeit
sind kaum erwähnenswerte Situationen zu sehen.
Zumindest nicht AUF dem Spielfeld, denn kurz vor dem Halbzeitpfiff ignorieren einige verblödete chemnitzer Fans den Spruch:
"Rauchen schadet der Gesundheit!" und üben sich als Selbsterstickungskommando. . Es sieht zwischenzeitlich so aus, als ob der gesamte Gästeblock abbrennen würde. Dann ein ohrenbetäubender Knall. Was die da angezündet haben, will ich nicht wissen. Dazu wieder die, nun vermutlich von allen verstandenen, Fahnen. Von allen Seiten tönen nun wütende donnernde Sprechchöre. Eine grausame und angespannte Atmosphäre liegt in der Luft. Fassungslosigkeit und Abscheu macht sich breit. Erst als einige W...er versuchen über den Zaun zur Haupttribühne zu gelangen und die erste Leuchtkugel auf den Linienrichter fliegt, bewegen sich die uniformierten Grünen in den Gästebereich. Für mich und alle anderen um mich rum war eigentlich in diesem Moment klar, dass eben dieser nun endlich geräumt werden würde. Aber, falsch gedacht. Nicht einmal die Flaggen werden den stolzen Deutschen abgenommen, dafür müssen wenig später einige unserer Vereinsmitglieder auf eigene Faust sorgen.

Der Halbzeitpfiff. Sowohl harsche Kritik an der bisherige Leistung der Mannschaft als auch Aussagen in die Richtung "Gegen die rechten Spacken muss man doch was machen" beherrschen die Pause.

In der zweiten Halbzeit ist eine deutliche Steigerung im Spielniveau zu merken. Und mit einem sehr genialen Weitschuss locht Shubi in der 54. zum 1:1 ein. Nun geht es wie durch Butter. Meggle haut das Leder einige Minuten später zur Führung rein. Etwas später erhöht er noch mal zum 3:1. Alles klar, das werden doch mal endlich wieder 3 Punkte.
Kurz vor Schluss dann noch mal ein bisschen Zittern nach dem Anschlusstreffer von Görke in der 71. Minute. Ein Unendschieden wäre fatal, zumal Lübeck momentan gegen Oberhausen unaufhaltsam am gewinnen ist.
Endlich kommt der erlösende Schlusspfiff!! Man liegt sich in den Armen und träumt doch noch mal ein bisschen von dem schönen Wort, das mit A anfängt.

Endlich mal wieder ein Heimsieg. Dieser Gedanke verleitet mich zu einem Höhenflug, der mich die Spacken gegenüber kurzweilig vergessen lässt.
Zum Glück schweben nicht alle anderen auch auf dieser rosa-roten Wolke. Denn nach dem Verlassen des Stadions werden wir relativ schnell in die Realität zurück geholt: An der Budapester Straße hat sich eine bunte Masse aus allen Blöcken und Volksgruppen versammelt, um den Chemnitzern klar zu machen, wie man nach solchen ekligen Faschoaktionen in Hamburg reagiert. Nämlich nicht unbedingt mit Schulterklopfen.
Dementsprechend stehen auch schon ein paar Regenmacher-Fahrzeuge der Staatsmacht in der Gegend rum und ein Megaphon-Polizist spricht fröhlich motiviert aber wahl- und planlos etlich Platzverweise gegen alle Anwesenden aus.
In der Verantwortung für eine minderjährige Channi, gucke ich mir die weiteren Geschehnisse schweren Herzens aus sicherer Entfernung an. Böse Beschimpfungen und Flüche sind aber das Mindeste, was ich als Beitrag leisten kann.

#Sprenkleranlagen in den Gästeblock stellend#

P.S.: Danke an Ingo für die Überschrift

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